Erklärte anschaulich die nicht ganz einfache Materie: Dr. Boris Dostal von der Kanzlei Drischel & Sozien aus Freiburg. Foto: JaMedia

Hannover. Rund 40 interessierte Zuhörer erlebten am 22. Februar beim Institut für Insolvenzrecht im Vortragssaal  der Leibniz-Bibliothek einen abwechslungsreichen Vortrag zum Thema „Restschuldbefreiung im französischen Insolvenzrecht“.  Als Referent brillierte Rechtsanwalt Dr. Boris Dostal von der Kanzlei Drischel & Sozien aus Freiburg. Durch seine Lehrtätigkeit an den Universitäten Dijon und Besancon hat er sich einen Namen im Internationalen Insolvenz- und Privatrecht sowie im Europäischen Zivilverfahrensrecht gemacht. Mit Spannung erwartete das Publikum in Hannover den Vortrag Dr. Dostals, da das lokale Insolvenzrecht in Elsaß-Lothringen innerhalb von rund 24 Monaten eine Restschuldbefreiung auch für deutsche Schuldner zulässt (sofern diese nicht als Kaufleute zu qualifizieren sind), auf die man in Deutschland in der Regel sechs lange Jahre warten muss.
Der Referent machte zunächst auf die Unterschiede zwischen dem klassischen französischen Insolvenzrecht nach dem Handelsgesetzbuch (Art. L 620-1 ff des Code de Commerce), das eine Restschuldbefreiung nur für Kaufleute vorsieht, und dem lokalen Insolvenzrecht (faillite civile) für die drei Departments Haut-Rhin, Bas-Rhin (Elsaß) und dem Département Moselle in Lothringen aufmerksam. „Ein Teil der Touristen aus Deutschland hat sich schon verfahren und ist im falschen Départment gelandet“, merkte er dazu an.

Freiberufler nicht konkursfähig
Der klassische Insolvenzfall nach dem Code de Commerce sieht zunächst eine so genannte Beobachtungsphase durch das Gericht vor. Danach wird – dem Bericht des Konkursverwalters entsprechend – entschieden, ob das betroffene Unternehmen saniert, verkauft oder liquidiert wird. Letzteres sei zu 95 Prozent der Fall, erklärte der Jurist aus Freiburg. Konkursfähig sei der Schuldner in Alt-Frankreich (vieille France) jedoch nur als Kaufmann beziehungsweise juristische Person des privaten Rechts. Auch Handwerker und Landwirte fielen in den Anwendungsbereich des klassischen Insolvenzrechtes. Nicht konkursfähig seien dagegen in Frankreich alle Privatpersonen, die keine Kaufleute seien – Freiberufler wie Ärzte, Architekten und Anwälte. Letztere kämen nicht in den Genuss des Art. L 622-32 des französischen Handelsgesetzbuches, welcher das Recht der freien Nachforderung der Gläubiger beschränkt und damit im Ergebnis zur Restschuldbefreiung führt.  
Der Personenkreis der Nichtkaufleute sei jedoch historisch bedingt in Elsaß-Lothringen sehr wohl konkursfähig. Das gehe zurück auf die Zeit der deutschen Besetzung, in der von 1879 bis 1924 in diesem Teil Frankreichs die deutsche Konkursordnung galt.
In Alt-Frankreich ist das Handelsgericht für Insolvenzen zuständig, das auf Antragstellung des Schuldners, eines Gläubigers oder des Generalstaatsanwalts ein Konkurseröffnungsurteil (jugement déclaratif) verkündet. Der Konkursfall tritt bei der Zahlungseinstellung des Schuldners ein, wenn er keine verfügbaren Aktiva mehr hat – und nicht auch bei einer Überschuldung, wie nach deutschem Recht.

Gläubigervertreter vertritt Forderungen 
Weitere Besonderheit in Frankreich:  Das Konkursgericht legt den Zeitpunkt der Zahlungseinstellung fest – diesen kann es auf maximal 18 Monate zurückdatieren. Veröffentlicht wird das Urteil dann im französischen Veröffentlichungssorgan (BODACC) sowie im Handelsregister. Forderungen inländischer Gläubiger, die nicht angemeldet werden, erlöschen zwei Monate nach der Veröffentlichung der Eröffnungsentscheidung; Ansprüche ausländischer Gläubiger spätestens nach vier Monaten. Angemeldet werden müssen diese beim Gläubigervertreter, eine weitere Besonderheit des französischen Rechts.
Richtig spannend wurde es dann, als der Referent auf die Restschuldbefreiung in Elsaß-Lothringen zu sprechen kam. Sie kann dort nur auf natürliche Personen ohne Kaufmannseigenschaft beziehungsweise ehemalige Kaufleute angewendet werden und gilt ipso jure – im Gegensatz zur sechsjährigen Wartezeit in Deutschland. Weder gibt es in den drei französischen Departments das Erfordernis von Mindestleistungen des Schuldners (beispielsweise Abtretung von Einkommen) noch
Seite 3 Artikel über Vortrag von Dr. Dostal am 22.2.06 im Institut für Insolvenzrecht Befriedigungsquoten zu Gunsten der Gläubiger. Entsprechend Art. L 622-32 des Handelsgesetzbuches erfolge die Restschuldbefreiung mit der Einstellung des Verfahrens mangels Masse, nachdem das Konkursgericht die Liquidation angeordnet und das Vermögen werwertet habe, betonte Dr. Dostal. Er zählte drei Ausnahmen vom Verbot des freien Nachforderungsrechtes auf: 1. gegenüber Gläubigern, deren Forderung auf einer strafrechtlichen Verurteilung des Schuldners beruht;  2. gegenüber Gläubigern von Unterhalts- oder Schmerzensgeldansprüchen; oder 3. gegenüber Bürgen im Rahmen etwaiger Regressansprüche. Das freie Nachforderungsrecht von Gläubigern sei überdies nur dann ausgeschlossen, wenn der betreffende Schuldner nicht bereits in vergangener Zeit ein Konkursverfahren durchlaufen habe, welches nicht zur vollständigen Befriedigung der Gläubiger geführt hat. Seit einer Gesetzesnovelle aus dem Jahre 2003 kann das französische Konkursgericht dem Schuldner in Ausnahmefällen einen Beitrag zur Befriedigung der Gläubiger abverlangen. Die diesbezügliche Zeitspanne darf einen Zeitraum von zwei Jahren nicht übersteigen.

Insolvenzgericht prüft Redlichkeit
Wichtig für die Beurteilung des Insolvenzgerichts sei seit der Neuregelung in 2003 die Prüfung der Redlichkeit (bonne foi) des Konkursschuldners. So müsse er zum Zeitpunkt der Eröffnungsentscheidung bereits mindestens sechs Monate seinen Hauptwohnsitz in einem der drei genannten Departments in Elsaß-Lothringen nachweisen. Schwierigkeiten ergäben sich auch, wenn der überwiegenden Teil seiner Schulden gegenüber Gläubigern in Deutschland bestehe und er dort nach wie vor arbeite. Indizien für eine Zuständigkeit des französischen Insolvenz-Gerichts seien die Zahlung lokaler Steuern, Kalt- und Warmmiete, Telefon- und Fernsehgebühren sowie kulturelle Aktivitäten des Schuldners wie beispielsweise in Sportvereinen. „Hüten Sie sich davor zu glauben, fiktive Wohnungsangaben wären ausreichend – es gelten äußerst strenge Maßstäbe“, versicherte der Referent seinen aufmerksamen Zuhörern.

EuInsVO weicht Kriterien auf
In jüngerer Zeit sei die Vorgehensweise der französischen Insolvenzgerichte in Elsaß-Lothringen in Bezug auf die Frage der gerichtlichen Zuständigkeit jedoch durch die europäische Insolvenz-Verordnung (EuInsVO) leicht entschärft worden. Danach stehen nunmehr die hauptsächlichen Interessen des Insovenzschuldners im Mittelpunkt. Bereits im Jahre 2001 hatte der BGH zudem entschieden, dass die Entschuldungswirkung eines Konkursverfahrens in Alsace-Moselle auch in  Deutschland vollumfänglich anzuerkennen sei. Eine Insolvenzentscheidung in den genannten drei französischen Départements entfalte universelle Wirkung und erstrecke sich demzufolge auch auf in Deutschland befindliches Vermögen des Schuldners.  Auch die Verlegung des Wohnortes nach Frankreich erschien dem BGH in der konkreten Situation nicht rechtsmissbräuchlich. So werden die Restschuldbefreiungs-Touristen wohl weiter nach Elsaß/Lothringen reisen – übrigens nicht nur aus Deutschland und Holland, sondern auch aus Alt-Frankreich selbst. Dr. Volker Römermann, Vorsitzender des Instituts für Insolvenzrecht, dankte Dr. Boris Dostal für dessen ausgezeichneten Vortrag. Lang anhaltend fiel der Beifall der Zuhörer aus, die zuvor in mehreren Nachfragen ihre weitere Wissbegierde zu dem Thema unter Beweis gestellt hatten.

Harald Jacke